Sydney, du Bestie! (003)
von Jasper Warrelmann
1984 fuhr Felix de Luxe „in einem Taxi nach Paris.“ 32 Jahre später fuhren wir nun, ich auf der Rückbank und Lucca auf dem Vordersitz, mit einem philippinischen Fahrer in einem Taxi durch Sydney. Über den Wolkenkratzern und Straßen hingen dichte Nebelschwaden. Es war 6 Uhr in der Frühe und noch so kalt, dass wir unsere Kapuzen-Jacken angezogen hatten. „Norddeutsches Wetter in Australien“, dachte ich, während das Taxi in mitten einer vierspurigen Straße durch den langsam aufkommenden Berufsverkehr fuhr.
Wir benötigten in etwa eine halbe Stunde, bis wir an unserem Hostel ankamen. „Maze Backpackers“ stand in rötlichen Lettern über dem Eingang, welcher sich direkt zwischen Reisebüro und Kiosk befand. Mitten in der Innenstadt! Wir traten ein, legten erst einmal unsere etwa zehn Kilo schweren Backpacks ab und lehnten sie gegen die Wand. Es war niemand im gesamten Raum, außer uns und einer netten Dame, die noch etwas verschlafen aussah und hinter der Rezeption stand. Wie sie helfen könne, wollte sie wissen. Wir legten unsere Pässe, sowie Kreditkarten vor und erkundigten uns, wann wir einchecken könnten. „14 Uhr“, sagte sie und Lucca und ich schauten uns nur an.
In den letzten 40 Stunden, seit dem wir aus Hamburg los geflogen waren, hatten wir nicht so richtig schlafen können. Zwischendurch konnten wir vielleicht einmal für drei, vielleicht vier Stunden die Augen zu machen, mehr war aber auch nicht möglich. Wie schön wäre es da gewesen, sofort in die Betten fallen zu können! Aber über die vorgegebene Uhrzeit konnten wir leider nicht verhandeln und mussten in den sauren Apfel beißen.
Wir schulterten also erneut unsere Backpacks und brachten sie in ein dafür extra vorgesehenes Kellerabteil des Hostels. Dort stand, neben einigen Koffern, Rucksäcken und Backpacks, sämtlicher Plunder, den hier Backpacker in den letzten Jahren wohl vergessen hatten. Mein Blick huschte über das Regal, in welchem sich eine große Digitaluhr befand, über eine Topfpflanze bis hin zu einer Wage, welche zu meinen Füßen lag.
Wir gingen die Treppe hinauf, an der Rezeption vorbei und standen wieder vorm Maze. „Joa, wo wollen wir jetzt eigentlich hin?“, schaute Lucca mich an und ich zuckte nur mit den Schultern. Wir schlenderten durch die Straßen und ließen all die Eindrücke erst einmal auf uns wirken. Männer in Anzügen, die sich mit dem Smartphone in der einen Hand und dem Kaffeebecher in der anderen Hand ihren Weg durch die Menschenmassen bahnten. Obdachlose, die in Decken eingewickelt waren oder Ladenbesitzer, die die ersten Stühle aus ihrem Café auf den schmalen Bürgersteig stellten. Mich, das Landei aus Schleswig-Holstein, erschlugen diese Eindrücke zunächst. Aus allen Richtungen kamen Geräusche, Menschen eilten kreuz und quer über die Straßen und Leuchtreklamen der Läden flackerten und sorgten für ein eindrucksvolles Kolorit.
„Keine Ahnung, wo wir hin wollen, finden wir nachher überhaupt wieder zum Maze zurück?“, wollte ich mich vergewissern. „Kein Problem“, sagte Lucca und deutete auf seinen Rucksack. In diesem befand sich sein I-Pad und er war vor dem Abflug schlau genug gewesen, Offline-Karten für ganz Sydney herunterzuladen, sodass wir auch ohne Internet zurückfinden würden. „Also ich würde zunächst gerne einmal W-Lan haben und die ersten Nachrichten checken“, sagte ich. Und so machten wir uns in Richtung des nächsten Starbucks auf.
Es war nun 8 Uhr und wir saßen im besagten Café, darauf bedacht, die Stunde freies Internet auszunutzen und allen Verwandten und Freunden zu schreiben, dass wir heil in Australien angekommen waren. Doch mitten in Sydney in irgendeinem Café an einem verregneten Septembertag darauf zu warten, dass es 14 Uhr werden würde, war uns zu langweilig. Und so beschlossen wir, ein erstes Mal durch unseren neuen Wohnort zu schlendern.
Auch wenn wir uns irgendwo im südlichen Pazifik befanden, hätten wir auch mitten in Europa sein können, so war mein Gedanke, als wir die durch die Stadt gingen. Sie ist noch eine relativ junge Stadt, 1788 gegründet. Das konnte man schon alleine anhand der Tatsache vermuten, dass die Straßen in der Innenstadt wie mit dem Lineal gezogen wurden. Sydney war nicht langsam und organisch gewachsen, wie die meisten Städte in Europa, die sich seit dem Mittelalter stetig vergrößert hatten. Circa fünf Millionen Einwohner leben im Einzugsgebiet und bahnen sich täglich über die Harbour-Bridge den Weg in die Innenstadt oder eilen durch die U-Bahnen, um abends wieder pünktlich zum Abendessen in ihren Vororten zu sein. Nun waren wir zwei weitere Menschen in Sydney und es fühlte sich am ersten Tag sehr ungewohnt an.
Ich verspürte – und damit hätte ich auf keinen Falle gerechnet – ein wenig Heimweh. Felix de Luxe fuhr mit einem Taxi nach Paris, hielt sich jedoch nur eine Nacht dort auf und kehrte wieder heim. Aber für uns sollten es ein paar Monate in Sydney werden. Unruhig, kalt und aufgewühlt stand diese Weltstadt nun also vor mir und ich würde ein paar Tage benötigen, ehe ich mich an meine neue Lebensumstände gewöhnen würde. Gegen 14 Uhr gingen wir zurück zu unserem Hostel, nahmen unsere Zimmerkarten und betraten erstmals unser neues zu Hause, das Maze, welches wir später so liebgewinnen sollten.