von Jasper Warrelmann
Bestimmt kennst du das Gefühl: Es gibt ein Ereignis, das eigentlich noch in weiter Ferne liegt. Trotzdem schielst du immer wieder in Richtung Kalender und vergewisserst dich, dass das Datum noch weit genug entfernt ist. Genau das passierte mir im Oktober 2016 mit meinen ersten Arbeitstag für das Praktikum in Sydney. Lucca und ich hatten Dank meines Vaters und ein wenig Eigeninitiative einen Praktikumsplatz für rund fünf Wochen erhalten, der sogar noch bezahlt wurde!
Am 3. Oktober war es soweit. Der Wecker klingelte um 7 Uhr morgens und mir wurde schlagartig klar, dass sich daran in den nächsten Wochen wenig ändern würde. Ich erwachte aus meinem Tiefschlaf, warf mir ein Handtuch um die Hüften und wankte durch die Gänge des Hostels in Richtung Bad. Zum damaligen Zeitpunkt war es morgens immer sehr kalt, sodass der Gang durch die Flure wirklich unangenehm war und ich ihn so schnell wie möglich hinter mich brachte. Entsprechend lange, um den Rückweg hinauszuzögern, hielt ich mich in der Dusche auf. Im Zimmer zogen wir uns schnell an. Ganz so schick, wie der feine Herr auf dem oberen Bild sahen wir an unserem ersten Arbeitstag jedoch nicht aus. Für den Job hatte ich in der Heimat extra Poloshirts erstanden, denn in der normalen Backpackergarderobe wollte ich bei dem Bürojob nicht auftauchen. Wir gingen in Richtung Küche, stopften uns schnell ein paar Toasts rein und gingen ein paar Minuten später zu Fuß zur Bahn. „Nach Mascot müssen wir“, sagte Lucca zu mir, der sich mal wieder um die Route gekümmert hatte. Wir fuhren etwa 20 Minuten mit der Bahn und stiegen in einem Bezirk Sydneys aus, in welchem mehrstöckige Bürogebäude in Reih und Glied nebeneinander standen. „Joa, da müssen wir wohl rein“, sagte ich und in mir kroch ein wenig Angst empor. „Der erste Tag im Büro! Und das in Sydney! Auf Englisch! Mit DEINEM Englisch!“, ging es mir durch den Kopf.
Ich hatte in der Schule stets mittelprächtige Leistungen im Englischunterricht erbracht, was zum Teil an mir, zum Teil an meinen Lehrer lag. Unser Mittelstufenlehrer verbrachte die Stunden damit, über seine Kinder oder sein Leben im Allgemeinen zu erzählen. Unsere Oberstufenlehrerin sorgte mit ihrer Art, den Unterricht zu leiten, dafür, dass ich diesem immer häufiger fern blieb und ziemlich gut in Photoshop wurde. Wenn ihr versteht, was ich meine … „All das, die ganzen Stunden, die du nicht zu Englisch gegangen bist, fallen dir heute auf die Füße“, dachte ich. Wir gingen in das Gebäude und stiegen in den Aufzug, umringt von Anzugträgern, die gerade noch ihren Kaffee schlürften, um im Büro voll fokussiert arbeiten zu können. „Etage Vier, wir müssen raus“, sagte Lucca. Da standen wir nun im vierten Stock und schauten durch die Glastür, unsicher ob wir nun hier warten oder reingehen sollten. „Lass uns da erstmal auf die Couch setzen, wir sind ja eh zu früh“, schlug Lucca vor. Zehn Minuten blieben mir noch, es war 8.50 Uhr, ehe unser Job beginnen würde. Wie war die Zeit verflogen, sodass von den Wochen, die es bis zum Jobbeginn an diesem 3. Oktober irgendwann mal waren, auf einmal nur noch zehn Minuten übrig blieben waren. Dann würde ich mich mit meinem Englisch durch ein Headoffice in Sydney schlagen müssen!
Diese zehn Minuten kamen mir ewig vor und wollten einfach nicht enden. Wie viele Gedanken konnte man sich in dieser eigentlich kurzen Zeitspanne eigentlich machen? Gegen 9.05 Uhr passierte dann endlich etwas. Eine junge Asiatin kam auf uns zu und fragte uns, ob wir Lucca und Jasper seien. Wir bejahten und wurden in ein gläsernes Büro geführt. Dort saßen wir und warteten erneut, bis uns einiger Papierkram gereicht wurde und wir über Verschiedenes belehrt wurden. Unsere Rechte am Arbeitsplatz, Pausen, alles nur erdenkliche wurde abgefrühstückt, ehe es dann wirklich ins Büro ging. Wir mussten hier und da etwas unterschreiben und nach zwei bis drei Stunden wurde uns unser Arbeitsplatz zugewiesen. Wir saßen etwas abseits mit Ina, der dritten Praktikantin im Bunde, die aus Dortmund stammte und für insgesamt sechs Monate dort arbeiten würde. Jeder hatte seinen eigenen PC und etwas Schreibmaterial. Da saßen wir nun um etwa 13 Uhr und ich dachte mir: „Das hast du vorerst überstanden, nicht schlecht, mein Lieber!“
In den folgenden Tagen war der Ablauf eigentlich immer der gleiche. Wir standen um 7 Uhr auf, nahmen die Bahn Richtung Mascot, waren gegen 9 Uhr im Büro und fuhren in aller Seelenruhe unsere Computer hoch. Danach ging es in Richtung Küche, um sich erst einmal einen Apfel, eine Banane und einen Tee zu holen. Unsere Arbeitsaufgaben waren meistens, irgendwelche digitalen Ordner zu säubern, Kopien zu machen oder irgendetwas zu tun, was niemand anderes machen wollte. Und das für 25 Dollar die Stunde!
Gegen Mittag verließen Lucca und ich das Gebäude und holten uns etwas zu Essen, meistens Sandwichs im Laden gegenüber. Danach ging es gestärkt in Richtung Büro zurück. Um 17 Uhr war Feierabend. Die Atmosphäre im Büro war sehr entspannt. Auch wenn ich in Deutschland bisher in keinem Büro gearbeitet habe, stelle ich es mir in den meisten Betrieben wesentlich stressiger vor. Wir waren im Büro die Exoten und die Leute waren neugierig, was uns denn ins ferne Sydney verschlagen hatte. Wenn einmal nicht viel anstand unterhielten wir uns auch mit Ina über die unterschiedlichsten Sachen. Ich musste immer schmunzeln, wenn Lucca und Ina wieder einmal ganz unterschiedliche Standpunkte vertraten.
Nach der Arbeit gingen wir in ein Gym um die Ecke, in welchem wir – wie noch so häufig während unseres Trips – ein zweiwöchiges Probetraining absolvierten. Am Wochenende gingen wir weg, unter der Woche waren wir nach der Arbeit meistens ziemlich erledigt. Anders als in Deutschland werden die Löhne wöchentlich überwiesen und so erreichten am Ende der Woche rund 500 Dollar mein Konto. Netto! „Nicht schlecht!“, dachte ich mir, wusste jedoch auch, dass dieses Geld als Polster für die nächsten Wochen oder gar Monate reichen müsste. Mit dem Englisch klappte es mit der Zeit auch immer besser, sodass die Angst und das Unwohlsein, was ich am Morgen des 3. Oktobers beim Aufstehen noch verspürt hatte, eine Woche später fast zur Gänze verschwunden waren. Von da an hatten wir jedoch andere Probleme als unseren Job am Rande Sydneys …