Dinge, die man nicht verlieren sollte (002)
von Jasper Warrelmann
„F**k“, dachte ich mir und wühlte in meinem Reiserucksack. Ich versuchte ruhig zu bleiben. Schaute alle Taschen durch und mit jeder, noch so kleinen Tasche, in der er nicht zu finden war, wurde ich ein wenig hektischer. Was ich suchte? Meinen Reisepass! Klar, Pässe kann man schon einmal verlegen. Jedoch sollte man das nicht tun, wenn man in mitten einer Menschenschlange am Flughafen in Sydney steht und in ein paar Minuten seine Unterlagen am Schalter abgeben muss, um ins Land zu kommen.
„Alles gut?“, fragte mich Lucca und schaute in meine Richtung. „Ähm“, versuchte ich die passenden Worte zu finden. „Ich finde meinen Reisepass nicht!“ Lucca schaute mich mit aufgerissenen Augen an und half mir dabei, meinen Reiserucksack erneut zu durchsuchen. Zum etwa zwanzigsten Mal. Doch er fand das benötigte Dokument auch nicht und ich sah, wie er ebenfalls langsam nervös wurde. „Du weißt schon, dass wir nicht ins Land kommen, wenn du deinen Pass nicht findest“, kommentierte er und versuchte dabei ruhig zu bleiben. „Wäre es möglich, dass du den vielleicht im Flugzeug gelassen hast oder auf dem Weg in Richtung Gate verloren hast?“ Klingt logisch, wo sollte ich ihn auch sonst verlegt haben? Als wir in Hong-Kong an Bord gingen, hatte ich ihn noch vorgezeigt und nun, zehn Stunden später, war er nicht mehr aufzufinden.
Wir beide liefen also den ganzen Weg in Richtung Flugzeug noch einmal ab und in mir stieg langsam die Panik hoch. Was, wenn der Reisepass sich nicht mehr auffinden ließe? Was würde der Mann am Schalter entgegnen? Würde ich zunächst in eine Zelle kommen und irgendwann würde man mir gestatten, mit einem Münztelefon in der Heimat anzurufen? Würde man die deutsche Botschaft verständigen oder mich gleich zurück nach Deutschland schicken? Das wäre ja mal eine tolle Geschichte. „Minusrekord – Deutscher Backpacker fliegt direkt nach Ankunft wieder zurück“ sah ich vor meinem inneren Auge schon die Schlagzeilen.
Wir liefen und liefen und kamen – endlich, nach gefühlten 42 Kilometern – wieder an unserem Flugzeug an, wo gerade der Putzdienst zugange war. „Sorry, I lost my passport“, sagte ich mit zerknirschter Miene zum Putzmann. „Come in“, lud er mich in die Maschine ein. Ich lief zu meinem Gang, schaute auf den Sitz, in das Netz und fand rein gar nichts. „Okay, reiß dich zusammen, sagte ich zu mir und schaute erneut auf mein Ticket. Ich blickte auf die Sitznummerierung und merkte, dass ich eine Reihe zu früh eingebogen war. Gott sei Dank! Eine Reihe dahinter fand ich meinen Reisepass. Ich hatte ihn zu Anfang des Fluges in das Netz an der Sitzrückseite gelegt und ihn einfach dort einfach vergessen.
Ich atmete tief durch, wischte mir den Schweiß von der Stirn, nahm den Reisepass und lief zurück in Richtung Ausgang. Lucca, der die gefühlten 34 Stunden am Ausgang gewartet hatte, war immer noch bleich wie ein Schimmelkäse. Ich reckte meinen Pass wie einen Fußballpokal in die Höhe und atmete auf. „Meine Fresse, wie kann man so ein Vollidiot sein“, lachte er auf und die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück. Entgegen dieser dreißig Minuten der völligen Verzweiflung verging die nächste halbe Stunde wesentlich schneller. Wir gingen in Richtung Schalter und legten unsere Dokumente vor. Wir durften nun endlich nach Australien einreisen.
Da standen wir nun, um 6 Uhr morgens am Flughafen, irgendwo in Mitten dieser Millionenmetropole und erstmals auf australischem Boden. Wir verließen das Gebäude und liefen einer noch verschlafenen, nebelbehagenden Skyline entgegen. Wir gingen zum nächstbesten Taxi, schmissen unsere Backpacks in den Kofferraum und fuhren den nächsten sieben Monaten Australien entgegen.